Fast ein Jahr liegt das Spiel zurück, Azmannsdorf gegen Windischholzhausen, zweite Erfurter Stadtklasse, quasi die Bodenplatte des regulären Fußballbetriebs und meist zuschauerfrei. Der Schiri hat gerade angepfiffen, da tauchen gut 150 Neonazis und Hooligans auf und beginnen am Rande des Platzes eine Party. Bengalfeuer fliegen, ein eigens mitgebrachter Stromerzeuger speist eine monströse Musikanlage, aus der einschlägiges Liedgut brüllt. Dem gemütlichen Kick in den Mai droht der Abbruch.
Frank Schalles, Vereinschef der Windischholzhausener, versucht mit den ungebetenen Gästen zu reden, vergebens. Man bringt das Spiel irgendwie zu Ende, Schalles aber sucht danach sofort Kontakt zu Stadtsportbund, Polizei und Verfassungsschutz. Die nächsten Spiele seiner Kicker finden unter Polizeischutz statt.
"Wir waren völlig überrascht von dieser Heimsuchung", erinnert sich Schalles. Erst Wochen später wurde klar, warum die Rechten ausgerechnet zu diesem Duell in der untersten Liga anreisten: Zum einen wegen einer traditionellen Abneigung zwischen den Orten, die für die Neonazis leicht nutzbare Emotionen schürt. Zum anderen hatte einer der Krawall-Anführer Geburtstag und szenegemäß zur "Action" geladen.
So weit, so schlecht. Doch Schalles und der Verein gaben sich damit nicht zufrieden, nahmen sich sämtliche Mitglieder vor und feuerten ihren Jugend-Torwart, der offen mit rechtsextremen Kameradschaften und NPD sympathisierte. "Das war spielerisch zwar ein Verlust", so Schalles, "aber es musste sein." Danach bekam er zahlreiche Anrufe anderer Vereine, die von ähnlichen Vorfällen und Sorgen berichteten. Schalles' Eindruck: "Da kommt was zu auf den Sport." Bei der heute in Jena zu Ende gehenden Fachtagung "Rechtsextremismus im Breitensport" gehört er zu den gefragtesten Gästen.
In der Tat beschränken sich rechtsextreme Umtriebe längst nicht mehr auf die Bundesliga und große Stadien. Im Gegenteil: Seit in den oberen Ligen Absprachen mit Polizei und Verfassungsschutz zur obligaten Spielvorbereitung gehören und auch Zweitligisten wie der FC Carl Zeiss Jena Fans mit völkischen Sprüchen oder Szene-Klamotten den Zutritt verwehren, verlagern Neonazis ihre Aktivitäten zunehmend in die Provinz. "Von der Regionalliga abwärts", tönte unlängst ein NPD-Bundesvorständler, "haben unsere Kameraden freie Bahn." In Brandenburg und Sachsen sei man "überall drin".
Thüringen indes galt bis vor kurzem als kaum betroffen. Um die 15 Anzeigen pro Jahr wegen rechtslastiger Vorfälle in Stadien wies die Polizeistatistik zuletzt aus, mit Schwerpunkt in Gera und Altenburg. Unterhalb der Oberliga, wo kaum Polizei präsent ist, beginnt das Nebelfeld. "Was uns nicht gemeldet wird, können wir auch nicht wissen", erläutet Jürgen Warnicke, Rechtsreferent des Thüringer Landessportbundes (LSB) die dürftige Informationslage. Junioren aus Ostthüringen, die nicht "gegen Jugos und Türken" antreten mochten, Bananen-Würfe auf dunkelhäutige Kicker im Südharz oder Zwölfjährige in Bad Blankenburg, die den Anstoß mit kollektivem "Heil Hitler"-Ruf vollziehen, von all diesen Dingen war beim LSB zunächst wenig bis nichts bekannt.
Erst Berichte von Teilnehmern einer im vorigen Jahr gestarteten Seminarreihe des Bildungswerks Blitz e.V. in Hütten (Saale-Orla-Kreis) brachten diesen Bodensatz des Rechtsextremismus im Sport ans Licht. Seither wird das "Dunkelfeld", wie es ein hoher Polizeibeamter in Hütten nannte, etwas mehr ausgeleuchtet, werden auch Vorfälle thematisiert, die früher als Nebensächlichkeiten abgetan wurden. "Judensau"-Rufe gegen Schiedsrichter etwa, die Weigerung eines Regionalliga-Stürmers, einem "Neger" des Spielgegners die Hand zu geben oder die Unlust von Jenaer Freizeitsportlern, mit Migranten die Trainingshalle zu teilen.
Doch das Vorrücken braunen Ungeists in den Thüringer Sport hat noch eine andere Dimension. Seit NPD-Chef Udo Voigt Ende 2004 auf dem Bundesparteitag in Leinefelde die Eroberung der gesellschaftlichen Mitte samt Kooperation mit den "Kameradschaften" befahl, versuchen vor allem seine Jung-Kader verstärkt den Einmarsch in die Vereine. Die, wenn sie denn überhaupt reagieren, behelfen sich mit zuweilen komischer Kosmetik: Zwei Fußballern eines Dorf-Teams bei Schleiz wurde etwa vor zwei Jahren verordnet, ihre sehr eindeutigen Tätowierungen an Arm und Wade während der Spiele mit Heftpflaster zu überkleben. In Gotha wiederum lief ein Kicker, nachdem ihm eine Verbandelung zur Szene nachgesagt wurde, mit auf links gedrehtem "Thor Steinar"-Shirt zum Training auf.
Dass ein in der Kameradschaft verankerter Spieler oder Übungsleiter entlassen wird, wie etwa in Zella-Mehlis, ist nach Einschätzung von Frank Hofmann, Bildungsreferent bei Blitz e.V., eher die Ausnahme: "Die kleinen Vereine, die eh schon knapp an Leuten sind, wollen möglichst niemanden verlieren. Da drückt man lieber die Augen zu." Und oft lieber nicht hingeschaut, wer da gerade das Vereinsheim oder die Halle mietet. "Sportlerkneipen sind häufig die ideale Einflugschneise", erklärt ein Szene-Aussteiger, der sechs Jahre für rechtsextreme Organisationen im Osten gearbeitet hat. Er beschreibt den Doppelwert des Sports für die Neonazis: "Gerade im ländlichen Raum heißt es oft, der Junge spielt ordentlich Fußball und ist bei der Feuerwehr, das kann kein richtiger Nazi sein." Anders herum würden Kameradschaften und NPD gezielt Bolzplätze übernehmen und Jugendlichen zum Kicken anbieten. "Wenn da einer war, aus dem man was machen konnte, hat man ihn zum Fußball eingeladen, dann wurde noch gegrillt und Bier getrunken. So wurden die Jungs geködert und rekrutiert", erläuterte der ehemalige Kameradschaftschef kürzlich im Fußball-Magazin "Rund". "Das nächste Mal nimmt man sie mit ins Stadion oder zur Demo. So funktioniert das heute noch."
Und wird auch in Thüringen versucht. In Hildburghausen zum Beispiel hat der seit rund drei Jahren bestehende SV Germania unter Regie des NPD-Kreisvorsitzenden Tommy Frenck inzwischen Antrag auf Anerkennung der Gemeinnützigkeit gestellt und wird wohl demnächst die Aufnahme in den regulären Fußball-Spielbetrieb begehren. In Erfurt ist der von den NPD-Aktivisten Andy Freitag und Kai-Uwe Trinkaus begründete SV Vorwärts bereits ordentliches Mitglied im Stadtsportbund und lädt jeden Mittwoch zu Badminton in eine Schulturnhalle ein. Jüngster Höhepunkt der rechten Offensive: Auf einer Weiterbildung zu Rechtsextremismus im Sport Anfang Oktober erzwangen Freitag und Trinkaus selbst den Zugang zum Tagungsraum im LSB-Sitz "Haus des Thüringer Sports". Da sich die Organisatoren unsicher waren, ob sie die formal zwar eingeladenen, aber letztlich unerwünschten Gäste des Hauses verweisen durften, wurde die Veranstaltung mit so prominenten Referenten wie der Landtags-Vizepräsidentin Birgit Klaubert (SPD) und der damaligen Grünen-Landeschefin Kathrin Göring-Eckardt schließlich abgebrochen.
Spätestens dieser öffentliche Eklat hat die Aktivitäten beim LSB, dem braunen Sport-Treiben Einhalt zu gebieten, erheblich beschleunigt. "Rechtsextremistisches Handeln ist keine Bagatelle, über die der Sport hinweg sehen kann", betont LSB-Hauptgeschäftsführer Rolf Beilschmidt, "für solche Dinge und ihre Wortführer darf es keinen Platz und keinen Raum geben." In den nächsten Tagen erscheint eine Broschüre mit Handlungsempfehlungen des LSB an seine Mitgliedsvereine, darin finden sich neben allerlei Information und Aufklärung über Szene-Codes und -Klamotten praktische Anleitungen, wie Vereine per Satzung, Stadionordnung oder Mietvertrag Rechtsextreme draußen halten können.
Dabei begibt sich der Dachverband durchaus auch in rechtliche Fährnisse, beispielsweise beim Umgang mit Leuten, die zwar auf Neonazi-Demos marschieren, im Verein aber unauffällig bleiben. Für solche Fälle empfiehlt der LSB eine Satzungsergänzung, wonach "bei unehrenhaftem Verhalten innerhalb und außerhalb des Vereins, insbesondere bei (auch nonverbaler) Kundgabe rechtsextremistischer, rassistischer, fremdenfeindlicher Gesinnung" der Betreffende ausgeschlossen werden kann.
Wie ernst der Sport inzwischen die Bedrohung nimmt, belegen weitere Passagen zur Durchführung von Veranstaltungen. Personen "zur gesicherten Ausübung des Hausrechts" seien festzulegen, Bestimmungen "ob und von wem fotografiert werden darf", an der Mikrofonanlage sei ein "vertrauter Techniker" zu installieren und "Rückzugsmöglichkeiten für gefährdete Personen" müssten vorhanden sein. Kein Zweifel: Der LSB sieht den Thüringer Sport vor dem Ernstfall.
Den NPD-Verein, so ist zu hören, will man jetzt irgendwie aus dem Erfurter Stadtsportbund kippen; möglicherweise ihm unter Verweis auf "nicht satzungsgerechte Nutzung" die Hallenzeiten streichen, weil im Internet Trainings-Bilder kursieren, die ganz und gar nicht nach Badminton aussehen. Im Fall des SV Germania Hildburghausen sind die Meinungen gespalten. Beilschmidt und Warnecke setzen erkennbar darauf, dass die NPD-Athleten in einem zähen Antrags-Verfahren die Lust verlieren, während der Südthüringer SPD-Vormann Uwe Höhn schon mal alle Möglichkeiten durchgeht, sollten die Rechts-Kicker doch den Wettkampfbetrieb erreichen. "Nötigenfalls müssen halt alle anderen Mannschaften die Spiele gegen die Truppe boykottieren", findet Höhn und meint, die Vereine in der Region würden dabei "bestimmt mitmachen". Allerdings würden dann automatisch die NPD-Balltreter aufsteigen. "Quatsch", sagt Höhn, "da muss der Fußballverband eben die Satzung ändern."
Für Uwe Schubert vom Mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus in Thüringen (Mobit) ist der Umschwung vom Stillschweigen zum nötigenfalls juristischen Vorgehen schon mal ein Fortschritt. "Bisher haben sich die Verbände schnell hinter rechtlichen Unsicherheiten versteckt", urteilt Schubert, "jetzt sollten sie die Auseinandersetzung wenigstens versuchen." Öffentlichkeit herstellen und den betroffenen Verein bewusst der Diskussion aussetzen, sei der richtige Weg: "Verschweigen nützt nur den Nazis."
Die Rechtsaußen mit allen erlaubten Mitteln vom Feld zwingen, das ist vorerst mehr oder minder die ganze Strategie des Thüringer Sports. Zwar soll auch die "argumentative Auseinandersetzung mit rechtsextremen Gedankengut" (Präsident Peter Gösel) irgendwie stattfinden, doch zunächst setzt der LSB vor allem auf die Hoffnung, den rechten Spuk hinausklausulieren und wegschließen zu können.
Oder gar boykottieren? Für Frank Schalles und seine Kicker käme das nie in Frage. "Die müssen auch sportlich vom Platz gefegt werden", findet der Vereinschef, "und zwar in jedem Spiel möglichst zweistellig."
Quelle:
MOBIT/Freies Wort (12.02.2008)