Freitag, 15. Februar 2008

"Kein öffentliches Interesse"

Erfurt. Thomas E. ist empört. Er war es vor vier Monaten und ist es nun erneut. Mitte Oktober vorigen Jahres, er kehrte in der Nacht vom Zwiebelmarkt in Weimar zurück, bemerkte er im Zug einen Mann, der auf dem Rücken der Jacke ein etwa zwei bis zweieinhalb Zentimeter großes Hakenkreuz zur Schau trug. "Am Hauptbahnhof in Erfurt habe ich auf dem Bahnsteig sofort Beamte der Bundespolizei darauf aufmerksam gemacht", berichtet der junge Mann. Die Uniformierten reagierten augenblicklich, schnappten sich den Verdächtigen und beschlagnahmten die Jacke mit dem Hakenkreuz. Wie sich herausstellte, war dies nicht das einzige verfassungsfeindliche Symbol. Am Kragen prangten SS-Runen.Aus allen Wolken fiel Thomas E., als er jetzt Post von der Erfurter Staatsanwaltschaft bekam. Sie habe das Ermittlungsverfahren eingestellt, informierte die bearbeitende Staatsanwältin. In dem dieser Zeitung vor- liegenden Schreiben heißt es wörtlich: "Ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung ist nicht gegeben. Die Schuld wäre als gering anzusehen." Der Beschuldigte gehöre nicht zur rechtsextremen Szene und sei offenbar alkoholkrank, wird in der Begründung weiter angeführt. Sie schließt mit dem Hinweis, dass der Mann das Hakenkreuz und die SS-Runen auf seiner Jacke, die er nach eigenen Angaben von Bekannten erhielt, nicht bemerkt haben will.An der Verfahrenseinstellung seiner Kollegin gebe es nichts auszusetzen, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Hannes Grünseisen, auf Nachfrage. Der Beschuldigte sei schwer alkoholkrank und auch am Tattag extrem betrunken gewesen. Dass er die Nazisymbole nicht wahrgenommen haben will, "muss man ihm erst einmal widerlegen", so Grünseisen.Entsetzt über die Entscheidung der Erfurter Staatsanwaltschaft zeigte sich der stellvertretende Vorsitzende der Organisation Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in Thü- ringen (Mobit), Steffen Lemme. "Ich finde das Vorgehen ziemlich oberflächlich. Gerade in einem so sensiblen Bereich darf das nicht vorkommen. Das Tragen verfassungsfeindlicher Symbole ist Anlass genug, solche Strafdelikte zu verfolgen", betonte er und erinnerte an den Grundsatz, dass Alkohol nicht vor Strafe schützt. Die Maxime "Wehret den Anfängen" habe nichts an Aktualität verloren. Gegen rechtsextreme Tendenzen und das Auftreten mit verfassungswidrigen Kennzeichen "muss mit aller Härte des Gesetzes vorgegangen werden. Ausnahmen darf es da keine geben", forderte der Mobit-Vize.Thomas E. hat den Glauben an die deutsche Justiz derweil verloren. "Was hat eine Alkoholkrankheit mit Nazisymbolen zu tun?", fragt er sich und die Staatsanwaltschaft und möchte wissen, ob jetzt jeder ungestraft mit der Reichskriegsflagge der Nationalsozialisten über den Anger rennen kann, insofern er alkoholkrank ist. "Der Rechtsextremismus wird in diesem Staat nicht konsequent genug verfolgt", steht für Thomas E. fest. Einerseits werde versucht, "Leute zu belangen, die mit durchgestrichenen Hakenkreuzen gegen Rechte demonstrieren und dieser Mann kann einfach so mit verbotenen Nazi-Zeichen herumlaufen, ohne etwas zu befürchten - das kann doch wohl nicht wahr sein", ist der Erfurter empört. Entmutigen lasse er sich durch die Erfahrung aber nicht: "Natürlich werde ich weiter gegen Rechtsextremismus einschreiten. Noch viel mehr Bürger sollten das tun."

Quelle: MOBIT/Thüringer Allgemeine (13.02.2008)

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